Und auf einmal war alles anders

Es war eine schwüle Sommernacht, in der ich plötzlich wach wurde und das Gefühl hatte, ein Schwall Flüssigkeit bahnt sich gerade seinen Weg durch meinem Körper nach draußen. Ich sprang behende auf und stürmte ins Bad, so zumindest der Plan. Hätt’ schon klappen können, aber hat halt nicht geklappt: Wie ich die seit 10 Monaten andauernde Last einer Schwangerschaft ausgerechnet beim Blasensprung komplett vergessen konnte, begeistert mich heute noch.  Man muss dazu sagen, in meinem Richtig-Atmen-für-Anfänger-Gebärkurs hat man mir versichert, dass Hollywood solche Szenen immer gnadenlos überzeichnet und es nie so schlimm sei, wie es einem weis gemacht werde. Aber dann ist es doch so schlimm: Ein apokalyptischer Wellengang vom Flur bis ins Bad. Okay, okay, unser Flur ist kein Hollywood-Ding, aber egal. Unbeeindruckt ging ich duschen, holte den Mob, wischte den Boden sauber, legte mich zurück ins Bett und dachte über mein Leben nach, das gerade im Begriff war, sich jeden Moment komplett zu ändern. Eine halbe Stunde später entschloss ich mich, meinen Mann in das Geschehen einzuweihen, denn schließlich werde sich sein Leben ebenfalls gleich komplett ändern.

Wir fuhren ins Krankenhaus. Beim CTG hörte ich eine Frau schreien “Erschieß’ mich, ich will nicht mehr!” Auch das haben sie mir beim Richtig-Atmen-für-Anfänger-Gebärkurs verschwiegen, dass da noch andere sein werden. Eine nett aussehende Omi — es sind, nebenbei bemerkt, schon immer nett aussehenden Omis, die mir in wichtigen Situationen etwas weissagen, aber das ist eine andere Geschichte — jedenfalls diese Omi bestätigte mir nochmal, dass mein Leben sich schon sehr bald komplett ändern werde. Also wurde ich in einen Kreißsaal mit gelben Kacheln gebracht. Dort kam mir eine weitere Omi entgegen und raunte, ich solle auf die Station gehen und mich etwas ausruhen, schließlich werde sich bald mein Leben komplett ändern. Also ging ich auf die Station, während ich hinter mir hörte, wie die Frau, die eben noch erschossen werden wollte, sich das jetzt auch für ihren Mann wünschte.

Auf Station wurde ich in ein Zimmer gebracht, ich habe mich ins Bett gelegt und versucht etwas zu schlafen, schließlich würde es sicher nicht mehr lange dauern und alles ändert sich. Die Tür ging auf und es kam jemand herein, der das Nachbarbett frisch beziehen wollte. Dann kam eine junge, nette Frau herein, deren Leben sich auch im Begriff war, komplett zu ändern. Nur dauert es bei ihr schon drei Tage und so langsam wünschte sie sich tatsächlich etwas Abwechslung. Wir plauderten heiter über die anstehende Veränderung.

Ich ging wieder zum CTG und lernte noch eine junge Frau kennen, deren Leben sich auch seit ein paar Tagen ändern sollte, aber gerade noch nicht so recht wollte. Auch hier versuchte ich nett zu plaudern, aber irgendwie war ihr nicht nach plaudern zu Mute, was soll’s, muss auch nicht immer. So vergingen 22 Stunden.

22 Stunden später änderte sich mein Leben auf einmal komplett. 25 Stunden später wäre mein Leben fast zu Ende gewesen. Eine Blutung in der Gebärmutter, die nicht sofort erkannt wurde.

Das Leben der jungen Frau, die ich im Zimmer kennengelernt habe, hat sich 27 Stunden später komplett verändert, und 27,5 Stunden später wäre es fast zu Ende gewesen.

Das Leben der Frau, der nicht zum Plaudern zumute war, hat sich 30 Stunden später komplett verändert, und wäre auch gleichzeitig fast vorbei gewesen.

Wir waren alle drei ins gleiche Krankenhaus gefahren, weil wir uns auf die Veränderung in unserem Leben gefreut haben. Keine von uns hatte damit gerechnet, dass ihr Leben dadurch enden konnte.

Seither habe ich mit vielen Frauen über dieses Thema gesprochen und war erstaunt, dass viele, darauf angesprochen, ihre Geschichten, die ähnlich waren, bereitwillig erzählten.  Einige waren sogar so traumatisiert, dass sie sich bewusst gegen ein zweites Kind entschieden oder sich als Versagermütter fühlten. Frauen, die ich seit Jahren kannte, und deren Kinder schon deutlich älter waren. Und erst jetzt habe ich gehört, womit sie zu kämpfen hatten.

Die Gewalt bei der Geburtshilfe ist leider immer noch ein Tabuthema. Man nimmt einfach hin, dass eine Geburt schmerzhaft und turbulent ist, und wenn es vorbei ist, soll man einfach alles vergessen. Vieles kann man einfach nicht vergessen, und man muss drüber reden, um eben ein Trauma zu vermeiden.

Ich habe in Kürze Geburtstag und ein weit verbreitetes Netzwerk fordert mich auf, eine Spendenaktion für ein Herzensprojekt zu starten. Dem komme ich nach, aber hier: Mein Herzensprojekt nennt sich die Roses Revolution, eine weltweite Aktion gegen die Gewalt bei der Geburtshilfe.

Setzt ein Zeichen gegen die Gewalt und Respektlosigkeit bei der Geburtshilfe und unterstützt die Arbeit der Roses Revolution! Jeder kennt eigentlich jemanden, der betroffen ist. Wir alle haben schon mal von Frauen gehört, die Gewalt bei der Geburtshilfe erlitten haben, egal ob durch Notkaiserschnitte, Einsatz von Saugglocken, Darmschnitte oder einfach respektlosen Umgang mit den Gebärenden. Nein, Gewalt bei der Geburt ist nicht normal, und nein, man vergisst es nicht sofort.

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